Jede Religion ist letztlich nur individuell als subjektive Wirklichkeit erfahrbar. Der Buddhismus betont, dass diese subjektive Wirklichkeitserfahrung entscheidend ist fĂĽr unser Dasein; so, wie wir etwas wahrnehmen, wirkt es auf uns, wird es zur Wirklichkeit. Die fĂĽr unser westliches Denken immer so entscheidende Frage nach der objektiven Wirklichkeit „ist es wirklich so?“, ist fĂĽr den Buddhisten nicht von Bedeutung, da sie letztlich auĂźerhalb der uns zugänglichen Denk- und Erfahrungsmöglichkeiten der Welt liegt, den einem stetigen Wandel unterworfenen Erscheinungen. Die objektive Wirklichkeit jenseits der Erscheinungen wird umschrieben mit „Buddha-Natur“, „Geist-Wirklichkeit“ oder „Leere, Leerheit“ (sanskrit: â€žĹ›Ĺ©nyatã“). „ŚũnyatĂŁ ist nicht die Position, die verneint, sondern die Verneinung jeder Position“  (Michael von BrĂĽck).

Die Welt, so wie wir sie erleben, entsteht erst in unserem Gehirn, in unserem Bewusstsein – die wissenschaftliche Forschung ist erst in unserer Zeit wieder zu dem gleichen Ergebnis gelangt. Es gibt „draußen“ kein Licht, keine Farben: erst unser Gehirn wandelt die elektromagnetischen Schwingungen bestimmter Frequenzen in Licht, in Farben um. Es gibt „draußen“ keine Töne: Erst unsere Ohren, unser Gehirn wandelt die Luftschwingungen in Töne und Klänge um; erst unser Bewusstsein lässt uns Musik erkennen.

Wenn wir von einem Menschen begeistert sind, prägt diese rein subjektive Wahrnehmung unsere Beziehung zu diesem Menschen, unser Leben. Da spielt es keine Rolle, ob auch andere diesen Menschen als nett oder ungewöhnlich empfinden oder nicht. Die Frage, wie ist dieser Mensch (objektiv) wirklich, ergibt keinen Sinn. Nach Martin Heidegger geht es bei der Frage nach dem Sinn unseres Seins nur darum, wie sich alles Erscheinende (alle Phänomene) wechselseitig auf uns auswirkt, unter bewusstem Beiseiteschieben der erkenntnistheoretischen Frage nach der Realität (Objektivierbarkeit).

Erst die Erkenntnis, dass jeder Mensch, jedes fühlende Wesen seine eigene subjektive Seins-Wirklichkeit erlebt, gerade auch im religiösen Bereich, ermöglicht wahre Toleranz. Die von uns im Sinne einer objektiven Wahrheit gestellte Frage: „Wer hat recht“ verliert dann ihren Sinn.

Die Mystiker der verschiedensten Religionen betrachten deshalb alle Glaubensvorstellungen und Dogmen nur wie prächtige bunte Kirchenfenster; das Entscheidende aber ist das Licht dahinter, das sie zum Leuchten bringt (Willigis Jäger). Sie eint die Einheitserfahrung der „unio mystica“, dass es jenseits der subjektiven Wahrnehmungen und Vorstellungen eine allen Erscheinungen zugrunde liegende Wirklichkeit gibt, ĂĽber die allerdings nur wieder in den Begriffen und Vorstellungen der jeweiligen Religion berichtet werden kann: „Wenn es eine Wahrheit gibt, ... dann kann das nur eine sein; sie (die mystischen Wege der Religionen)fĂĽhren also ... auf verschiedenen Wegen auf den gleichen Berggipfel. Der eine geht rechts herum, der andere links herum, der eine ist steiler, der andere langsamer, aber sie fĂĽhren alle auf diesen Gipfel der Erfahrung.“  (Willigis Jäger, Benediktinerpater und Zen-Meister).